KI oder Kreide im Hörsaal – so digital sind Deutschlands Hochschulen
- Zwei Drittel der Studierenden nutzen bereits ChatGPT - aber nur ein knappes Drittel der Hochschulen hat Regeln
- Studierende wollen Kurse sowohl vor Ort als auch online
- Bitkom-Präsident Wintergerst: „Wer ausgerechnet an der Digitalisierung der Bildung spart, spart an der falschen Stelle.“
Berlin, 21. März 2024 - Videokonferenz statt Hörsaal, Portal statt Briefkasten, Online-Sprechstunde statt Büro –Corona hat den Hochschulen einen Digitalisierungsschub verliehen und schon kommt mit Künstlicher Intelligenz die nächste Herausforderung. 65 Prozent der Studierenden haben bereits ChatGPT genutzt, weitere 22 Prozent können sich das vorstellen, insgesamt 95 Prozent haben schon davon gehört. Lediglich 9 Prozent kennen ChatGPT zwar, können sich eine Nutzung aber nicht vorstellen. Nur 4 Prozent haben noch nie davon gehört oder gelesen. Der KI-Einsatz ist jedoch weitgehend ungeregelt. Nur rund ein Drittel (37 Prozent) der Studierenden berichtet von einschlägigen Regeln an ihrer Hochschule. Das sind Ergebnisse einer neuen Studie des Bitkom zur Digitalisierung an Hochschulen, für die rund 500 Studierende online befragt wurden. „Künstliche Intelligenz ist aus dem Uni-Leben nicht mehr wegzudenken. Viele Studierende nutzen generative KI wie ChatGPT, nur die wenigsten Hochschulen wissen aber, wie sie damit zum Beispiel bei Prüfungen, Studienarbeiten oder in der wissenschaftlichen Forschung umgehen sollen“, sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. Bislang wird ChatGPT von den Studierenden vor allem als Recherchetool genutzt: 68 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer setzen es dafür ein, 40 Prozent zur Erstellung von Zusammenfassungen, jeweils 37 Prozent zur Vorbereitung von Präsentationen und zur Korrektur von Texten, 35 Prozent zur Übersetzung von Texten. Aber auch im Prüfungskontext spielt ChatGPT eine Rolle: Ein Drittel (33 Prozent) hat es schon für die Prüfungsvorbereitung genutzt, 26 Prozent für das Schreiben von Hausarbeiten, 9 Prozent für das Schreiben von Abschlussarbeiten und 4 Prozent sogar während einer laufenden Prüfung.
Großteil der Studierenden nutzt KI – aber nur rund ein Drittel hat Regeln
Insgesamt sind die Studierenden beim KI-Einsatz für Prüfungen aber gespalten: 44 Prozent finden, die Nutzung von ChatGPT für Hausarbeiten und Abschlussarbeiten sollte verboten werden. 54 Prozent sagen, durch ChatGPT können sich Studierende einen ungerechten Vorteil verschaffen. Gleichzeitig meinen drei Viertel (74 Prozent) der Studierenden, man sollte in der Hochschule lernen, wie man ChatGPT richtig nutzt. 44 Prozent finden, der Einsatz von ChatGPT sollte an allen Hochschulen Standard sein. Andererseits sind aber auch 60 Prozent der Ansicht, der Einsatz von ChatGPT führe dazu, dass Studierende weniger selbstständig denken und lernen. Wintergerst: „Hochschulen sind besondere Orte, weil hier gleichzeitig an KI geforscht und auch schon mit ihr gearbeitet wird. Ausgerechnet den Studierenden die Nutzung von KI grundsätzlich zu verbieten, wäre also nicht nur nicht durchsetzbar, sondern auch ein falsches Signal für den KI-Standort Deutschland.“
Obwohl ein Großteil der Studierenden KI also schon nutzt, wird nur einer Minderheit dabei Regeln an die Hand gegeben: Insgesamt 37 Prozent der Studierenden wissen, dass es an ihrer Hochschule Regeln zum Einsatz generativer KI wie zum Beispiel ChatGPT gibt: 17 Prozent wissen von zentralen Regeln für die Hochschule insgesamt, bei einem Fünftel (20 Prozent) werden Regeln vereinzelt vom Lehrpersonal festgelegt. Ein Drittel (33 Prozent) gibt an, keine Regeln zu haben und weitere 30 Prozent wissen nicht, ob es an ihrer Hochschule Regeln gibt oder haben dazu keine Angabe gemacht. Wintergerst: „Eine Regel, die niemand kennt, ist bedeutungslos. Um es aber für alle auch im Prüfungskontext fair und verbindlich zu halten, gilt es, transparente und klare Regeln zu schaffen und umzusetzen. Damit die Potenziale der Technologie genutzt werden können, brauchen Studierende und Lehrende Sicherheit, was beim Einsatz von KI in Wissenschaft und Lehre verboten, was erlaubt und was sogar erwünscht ist.“
7 von 10 wünschen sich mehr Digitalisierung und Nutzung digitaler Technologien
Was die Digitalisierung generell angeht, haben die deutschen Hochschulen in den vergangenen Jahren aus Sicht der Studierenden einen Sprung gemacht – aber trotzdem international noch Nachholbedarf: 73 Prozent der Studierenden sagen, die Coronapandemie habe zu einem Digitalisierungsschub an ihrer Hochschule geführt. Ebenfalls 73 Prozent meinen, die deutschen Hochschulen hinken im internationalen Vergleich stark hinterher. 64 Prozent sind der Meinung, die deutschen Hochschulen hätten die Digitalisierung verschlafen. Demgegenüber sehen 18 Prozent der Studierenden die deutschen Hochschulen als Vorreiter der Digitalisierung. Wintergerst: „Gerade im internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe und besten Ideen ist es wichtig, die Hochschulen digital auf die Höhe der Zeit zu bringen. Digitale Hochschulen sind ein Standortfaktor erster Güte.“
Insgesamt geben die Studierenden der Digitalisierung der eigenen Hochschule im Durchschnitt immerhin die Schulnote 2,7. Deutschlands Hochschulen schneiden damit sehr viel besser ab als Deutschlands Schulen. Das scheint aber nicht genug: 7 von 10 Studierenden (68 Prozent) wünschen sich mehr Digitalisierung und Nutzung digitaler Technologien an ihrer Hochschule und 87 Prozent fordern, die Hochschulen sollten mehr in Digitalisierung investieren. „Studierende erwarten, dass Hochschulen digitale Technologien so selbstverständlich einsetzen wie sie selbst“, sagt Wintergerst. „Dafür brauchen die Hochschulen finanzielle Sicherheit. Deshalb muss das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesprogramm Digitale Hochschule kommen. Wer ausgerechnet an der Digitalisierung der Bildung spart, spart an der falschen Stelle.“
Präsenz plus online: Hybride Lehrveranstaltungen sind der Favorit
Aus der Bibliothek, aus dem Ausland oder doch von zuhause: Die Mehrheit der Studierenden hat zurzeit die Möglichkeit, bei Bedarf online an Lehrveranstaltungen teilzunehmen: Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Studierenden kann dem Hochschulbetrieb teilweise online folgen, bei 13 Prozent ist das immer möglich. Hybride Veranstaltungen, bei denen sowohl Präsenz- als auch Online-Teilnahmen möglich sind, werden von den Studierenden favorisiert. Müssten sie sich für den Rest ihres Studiums für eine Art der Lehrveranstaltung festlegen, wählen 45 Prozent der Studierenden die hybride Variante. Ein Drittel (36 Prozent) würde sich hingegen für reine Präsenzveranstaltungen entscheiden, 13 Prozent für reine Online-Veranstaltungen und 6 Prozent für aufgezeichnete Veranstaltungen, die online verfügbar sind. „Wenn es nach den Studierenden geht, geht es also nicht um die Abschaffung der klassischen Uni vor Ort, lediglich um die Ergänzung durch Online-Angebote, Flexibilität und Wahlfreiheit“, so Wintergerst.
Viele Services online – viele Prüfungen weiter analog
Trotz Online-Angeboten für Vorlesungen, Seminare und Co. - Prüfungen laufen an den Hochschulen zum größten Teil weiter analog ab: Schriftliche Prüfungen können nur 22 Prozent online ablegen, mündliche Prüfungen 14 Prozent. Viele Services lassen sich an Hochschulen hingegen digital in Anspruch nehmen: 81 Prozent der Studierenden haben online Zugriff auf Lehrmaterialien aus Veranstaltungen, 78 Prozent haben Zugriff auf persönliche Dokumente wie Bescheinigungen. Ebenfalls 78 Prozent können sich online zu Prüfungen anmelden, 63 Prozent können sich online immatrikulieren. Wintergerst: „Digitale Lösungen können insbesondere in der Verwaltung entlasten und helfen, gerade auch an großen Universitäten mit einer Vielzahl von Studierenden administrative Prozesse für beide Seiten effizient und komfortabel zu gestalten. Was die digitale Transformation angeht, können die deutschen Hochschulen Vorbilder für Schulen und Behörden sein.“
Dabei sehen die Studierenden auch an der bestehenden digitalen Infrastruktur an einigen Stellen Nachholbedarf. Dringlichstes Problem an ihrer Hochschule sind für 27 Prozent schlecht funktionierende Web-Portale, zum Beispiel zur Prüfungsanmeldung. 26 Prozent der Studierenden bemängeln schlechtes oder kein WLAN. Jeweils 25 Prozent beklagen eine schlechte technische Ausstattung und veraltete Lehrinhalte bzw. -materialien. 24 Prozent sehen einen zu geringen Einsatz digitaler Geräte und Bildungsmedien als eines der dringlichsten Probleme. Zum Vergleich: Baufällige Hochschulgebäude beklagen 26 Prozent. „Die Hochschulen müssen das digitale Rad nicht jeweils neu erfinden. Es gibt bereits an vielen Hochschulen digitale Best Practices. Damit die Hochschulen von Vorreitern lernen können, muss der Austausch gefördert werden. Und es wäre hilfreich, so wie in den Unternehmen auch an den Unis CDOs einzusetzen, also Digitalverantwortliche auf Leitungsebene“, so Wintergerst.
Lehrpersonal ist aufgeschlossen – braucht aber teilweise zusätzliches Knowhow
In den Lehrveranstaltungen selbst gehören digitale Geräte größtenteils zum Standard: 83 Prozent der Studierenden geben an, dass zumindest hin und wieder Beamer in Lehrveranstaltungen eingesetzt werden, 76 Prozent sagen dies über Laptops. Bei knapp der Hälfte (47 Prozent) kommt ein Smartboard beziehungsweise digitales Whiteboard zum Einsatz, bei 35 Prozent stationäre Desktop-PCs. Nur bei einem Drittel (33 Prozent) setzt das Lehrpersonal Tablets in Lehrveranstaltungen ein, bei 21 Prozent Smartphones. Dabei zeigt sich das Lehrpersonal digitalen Technologien gegenüber weitgehend aufgeschlossen: 65 Prozent der Studierenden sagen, ihr Lehrpersonal stehe der Digitalisierung an ihrer Hochschule eher positiv gegenüber, 14 Prozent sogar sehr positiv. Nur 11 Prozent sehen die Digitalisierung demnach eher negativ. Gleichzeitig sagt aber auch etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Studierenden, die Digitalisierung ihrer Hochschule scheitere an mangelnden Kompetenzen des Lehrpersonals. Wintergerst: „Die Technologieaffinität des Lehrpersonals ist eine gute Basis, dem Wunsch der Studierenden nach verstärkter Digitalisierung nachzukommen. Diejenigen, die noch Probleme haben, diese Offenheit auch in konkrete Anwendungen zu übersetzen, sollten hier mehr Unterstützung bekommen, zum Beispiel durch mehr Schulungen und IT-Support.“
Für die Studierenden selbst gehören digitale Geräte fest zum Studium dazu: Nur 1 Prozent gibt an, für Lehrveranstaltungen, sowie deren Vor- und Nachbereitung nie digitale Geräte zu nutzen. Die digitalen Geräte werden vor allem zum Erstellen von Präsentationen (79 Prozent), zum Schreiben von Texten (75 Prozent) und dem Anschauen oder Anhören von Lerninhalten (74 Prozent) eingesetzt. 71 Prozent nutzen digitale Geräte für digitale Medien, also zum Beispiel zum Lesen und Bearbeiten von digitalen Skripten, 69 Prozent greifen damit auf Lernplattformen zu. Gleichzeitig hätte über die Hälfte der Studierenden hier gerne mehr Weiterbildungsmöglichkeiten: 53 Prozent wünschen sich mehr Angebote zum Ausbau ihrer Digitalkompetenzen wie zum Beispiel Scrum- oder Programmierkurse. 38 Prozent sagen, sie werden an ihrer Hochschule nicht auf die digitale Arbeitswelt vorbereitet. Wintergerst: „In kaum einem Job kommt man heute ohne Digitalkompetenzen aus. Digitalität sollte daher als Querschnittskompetenz in die Curricula aller Studiengänge integriert werden. Durch ausreichend Lizenzen und technische Ausstattung müssen die Hochschulen sicherstellen, dass Studierende unabhängig vom Geldbeutel mit digitalen Geräten und Anwendungen lernen können.“ Bisher ist es Standard, dass Studierende die Kosten für ihre digitale Ausstattung selbst tragen: Nur 6 Prozent der Studierenden geben an, ein portables digitales Endgerät wie zum Beispiel ein Laptop oder ein Tablet von ihrer Hochschule gestellt zu bekommen.